Dienstag, Oktober 23, 2007

1937_3: Zwischen den Fronten

Alexander Deineka "Zukünftige Flieger" 1937
Öl auf Leinwand, 131 x 161 cm
Staatliche Tretjakow Galerie Moskau
mit freundlicher Genehmigung der Kunsthalle Bielefeld

Richard Oelzes Alptraum "Erwartung" (s. Folge 1937_2) orientiert sich im Bildaufbau an einem schon damals fast zehn Jahre alten Pressefoto, das nach der sensationellen Alleinüberquerung des Atlantiks von Charles Lindbergh in 33,5 Stunden ohne Zwischenlandung am 21. Mai 1927 in Paris aufgenommen wurde. Bereits 1919 war für das Wagnis eines Non-Stop-Alleinflugs zwischen New York und Paris ein Preisgeld von 25.000 US-Dollar ausgesetzt worden, das Lindbergh acht Jahre später gewann. Doch damit erlangte er nicht nur nationale Anerkennung in Amerika und die Ehre einer Konfettiparade in New York, er schrieb sich tief und lang andauernd in die Erinnerung auch der künstlerischen Elite in Europa ein. Erinnert sei nur an das musikalische Hörbild "Der Lindberghflug" von Bertolt Brecht aus dem Jahre 1929, das noch 1950 eine letzte der zahlreichen Bearbeitungen durch seinen Verfasser unter dem Titel "Der Ozeanflug" erfuhr. Flugzeuge und die (toll)kühne Fliegerei übten auch auf bildende Künstler eine magische Anziehung aus, die besonders im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts nicht nur als häufiges Einzelmotiv, sondern als prägendes Sujet ganzer Kunstrichtungen fungierte. In dieser Form ging die "Aeropittura", wie sie in den Zwanziger Jahren in Italien genannt wurde, eine aus der Rückschau bedenkliche Verbindung mit nationalistischer Hochstimmung und nationalem Jubel auch in Deutschland, Italien, Spanien und der Sowjetunion ein: Im Februar 1931 veröffentlicht Filippo Tommaso Marinetti, der bereits 1909 das Manifest des Futurismus verfasst hatte, sein "Manifesto dell'Aeropittura". Hierin nimmt er die futuristische Ästhetik der Dynamik, Geschwindigkeit, Kurzlebigkeit und Intensität des Lebens in den Themen Geschwindigkeit, Bewegung, Zeit, Raum und Licht wieder auf. "Flugmalerei" propagiert technischen Fortschritt und ist das Angebot der Futuristen an das faschistische Regime Benito Mussolinis und dessen politische Erneuerungsbewegung seit März 1919. Ursprünglich als Zeichen eines neuen Bewusstseins, eines neuen Lebensstils entstanden, mündet sie 1937 als "Aeropittura di guerra" in der "Mostra di aeropitture futuriste" ein in unverblümte Kriegspropaganda für den Abessinienkrieg 1935/36.

Im Gegensatz dazu scheint Alexander Deineka (1899 Kursk - Moskau 1969) mit seinem Ölbild "Zukünftige Flieger" den Teufel irregehender Nationalideologie nicht mit dem Beelzebub avantgardistischer Kunst austreiben zu wollen. Zwar teilen seine drei jungen Burschen die gemeinsame Rückenansicht mit Oelzes Protagonisten des Bösen Erwachens, aber ihre Blicke treffen nicht auf infernalisches Schwarzbraun, sondern ganz im Gegenteil auf warme Sand- und helle Blautöne, in denen sich auch die Objekte ihrer Begierde spiegeln, drei Wasserflugzeuge, eines bereits stolz in den Lüften und zwei startbereit auf den schaumgekrönten Wellen des Schwarzen Meeres unmittelbar vor der Küste von Sewastopol. Es sind sehnsüchtige Blicke, die diese "zukünftigen Flieger" im Jahrzehnt fliegerischer Heldentaten auf ihre Identifikationsobjekte heften und damit Traumvorstellungen einer glorreichen Zukunft beschwören. In diesem Aspekt vergleichbar mit der völkischen Kunst des Faschismus, beschreiben die Bilder des Sozialistischen Realismus, für unseren Blick aus dem Westen von mediterraner Anmut, eine Ästhetik des Positiven, realistisch in der Form, sozialistisch im Inhalt. Gemälde wie dieses vermischen Traum und Wirklichkeit, streben eine massenhafte Identifizierung mit den plakativ reproduzierten Helden-Bildern und damit den staatlich propagierten Ideologien an. Hierin liegt die Schattenseite der sonnendurchfluteten russischen Kunst-Landschaften mit ihren wohlgeformten Menschenleibern, und dies führte am 17. Januar 1936 auch zur Gründung des "Komitees für Kunstangelegenheiten", das schon bald zentrale Kontrollinstanz über bildende Kunst, Theater, Musik und Film für Stalins Machtapparat wurde wie die "Reichskammer der bildenden Künste" für Hitler - und dies mit den gleichen verheerenden Folgen für die Kunst der Moderne: Stalins ständige Rede seit 1929 von Verschwörung, von Feinden im Innern, führt zur Allgegenwart der Geheimpolizei, zu willkürlichen Entlarvungen von "Spionen" bis hin zu Schauprozessen, Deportationen und massenhaften Erschießungen von Künstlern und Intellektuellen und gipfelt 1937, zum 20. Jahrestag der Oktoberrevolution, in einem Jahr des allgemeinen Verstummens. Angst, Belagerungs- und Ausnahmezustände, Räume des Terrors als Chiffre totalitärer Gewalt stürzen die Sowjetunion in ein mentales Chaos und machen sie zu einem Land der unversöhnlichen Gegensätze, in dem Kunst zwischen die Fronten gerät.

Es sind die gleichen Fronten wie die des Bürgerkriegs in Spanien, wo unter dem anhaltenden ökonomischen Druck im Nachklang der Weltwirtschaftskrise republikanische Demokratie gegen totalitäre Diktatur um ihr gesellschaftliches Überleben kämpft. Die Bombardierung Guernicas am 26. April 1937 ist das symbolische Fanal dieses Kampfes, der politisch verloren geht und in den 2. Weltkrieg mündet. Die Internationalen Brigaden des geistigen und künstlerischen Widerstandes stilisieren den Schrei und das Weinen zur politischen Ikonografie des Jahres 1937. Der einzelne, einsame Bauer und die schutzlose Frau mit ihrem Kind, das hiobartige Leiden der Bevölkerung, plakativ, theatralisch und episch inszeniert, macht bei den katalanischen Künstlern González, Miró und Picasso einem an der Neuen Sachlichkeit orientierten abstrakten Symbolismus Platz, der den Schrei mit Schnitten wie mit dem Skalpell seziert und dem Weinen mit harten Kontrasten und minimalen Linien breiten Raum für Entsetzen einräumt. Diese Kunst der Moderne wird Guernica überleben und Menschlichkeit ins 21. Jahrhundert retten.