Sonntag, April 01, 2007

Neue Welt 5: Ein Solinger im Wilden Westen

Albert Bierstadt
In the Mountains, 1867
91,9 x 127,6 cm, Öl auf Leinwand
Wadsworth Atheneum, Hartford Mass.

mit freundlicher Genehmigung des Bucerius Kunst Forum Hamburg

Dieses Bild wie auch sein Titel sind untypisch für den in Solingen geborenen amerikanischen Landschaftsmaler Albert Bierstadt (1830–1902). In the Yosemite Valley, Among the Sierra Nevada Mountains oder The Hetch-Hetchy Valley sind eigentlich die typischen, geografisch genauen Titel seiner Western-Bilder, und typische Vordergrund-Details sind eigentlich seine possierlichen Entenfamilien, stattlichen Hirschrudel oder markante Rückenansichten von Indianern bei Sonnenuntergang. All dies fehlt hier. Statt dessen Landschaft pur: Vor einer imposanten Bergkulisse breitet sich ein ruhiger, silbrig glänzender See aus, der im rechten Bildteil von urwüchsigen Laubbäumen, zerklüfteten Felsbrocken und krautigem Ufergras begrenzt wird. Ein entfernter Wasserfall in der unteren Bildmitte markiert das dem Betrachter gegenüber liegende Steilufer, über dem sich unter einem vielgestaltigen, drohenden Wolkenhimmel das zentrale, schneebedeckte Bergmassiv auftut, das stark an Caspar David Friedrichs Watzmann von 1824/25 erinnert. Überhaupt lässt Bierstadts Bergwelt von 1867 eher an die Schweizer Alpen denken als an eine typische Landschaft im Yosemite Valley, das erst durch ihn populär wurde. Und tatsächlich ist bislang unklar, ob Bierstadt In the Mountains noch in Amerika malte oder schon in Europa, das er ab Juni 1867 für zwei Jahre bereiste. Unbezweifelbar handelt es sich bei dem Bergabhang im linken Bildteil aber um den El Capitan in Yosemite, ansonsten ist die Landschaft aus verschiedenen Bildquellen zusammengesetzt und kann so als Atelierbild auch in England entstanden sein, wo Queen Victoria und der Prince of Wales Bierstadt 1868 eine Audienz gewährten und er seine Ausstellungstournee durch Europa begann. Es handelt sich also wieder um eine Kompositlandschaft wie bei Frederick Churchs Niagarabildern (s. Neue Welt 4). Beide Maler haben mit ihren typischen Sujets der Donnernden Wasser bzw. des Wilden Westens persönliche Themen gefunden, die, aus anspornender Rivalität entstanden, von ihren Sammlern der Öffentlichkeit als patriotische Ergänzung präsentiert werden.

Alfred Bierstadt kam bereits als Zweijähriger mit seiner Familie nach Amerika, war malender Autodidakt und stark von der besonders bei den Bühnenbildern der Theaterproduktionen immer populärer werdenden Daguerreotypie beeinflusst. Sein lebenslanges Interesse für Fotografie hat eine erstaunliche Parallele zu den späteren Arbeiten von Ansel Adams, der in Bierstadts Todesjahr geboren wurde (1902-84). Adams hat das Bild vom amerikanischen Westen stärker geprägt als jeder andere Fotograf. Seit seinem Besuch des Yosemite-Nationalparks widmete er sich fast ausschließlich der Natur- und speziell der Landschaftsfotografie und produzierte seine ersten Aufnahmen im damals üblichen piktorialistischen Stil, der durch eine sorgfältige Wahl des Ausschnitts, fließende Übergänge, Vorliebe für Nacht- und Nebelszenen sowie künstlerische Sujets (Landschaften, Porträts, Akte) gekennzeichnet ist. Mit seiner Entwicklung der sog. Zonentechnik und den so im Labor streng ausgearbeiteten Schwarzweißfotografien etablierte er seinen Ruf als herausragender Foto-Künstler ebenso wie Bierstadt als Maler zu seiner Zeit in der amerikanischen Landschaftsmalerei.
1853 kommt Bierstadt zum ersten Mal nach Europa zurück, um an der Düsseldorfer Kunstakademie zu studieren. Dort trifft er u.a. den fast gleichaltrigen Oswald Achenbach (1827-1905) und dessen Bruder Andreas (1815-1910), der auf Vermittlung des amerikanischen Malers Emanuel Leutze (1816-68) – mit dem die Brüder Achenbach zwei Jahre zuvor in Düsseldorf dessen Gemälde Washington Crossing the Delaware vollendet und in die USA transportiert hatten – in diesem Jahr Ehrenmitglied in der Pennsylvania Academy of Fine Arts wird. Diese Freundschaft und seine Reisen mit ihnen in die Alpenländer haben weit reichenden Einfluss auf Bierstadts künstlerische Biografie und legen das Fundament für seinen späteren Ruf – in Amerika wie in Europa – als führender Maler von Landschaften des amerikanischen Westens. Nach seiner Rückkehr hatte er sich im April 1859 einer Expedition der amerikanischen Regierung nach Colorado und Wyoming angeschlossen und dort die spektakuläre Szenerie der Rocky Mountains als vergleichbar den Berner Alpen empfunden, die er für die schönsten Bergketten Europas - wenn nicht der ganzen Welt - hielt.
Unter dem Einfluss der Düsseldorfer Malerschule erwarb sich Bierstadt die künstlerische Expertise für "das A und O der Landschaft", das nach einem Bonmot des Düsseldorfer Malers Julius Hübner von 1869 auch der großen Retrospektive der Werke beider Achenbachs in der Kunsthalle Düsseldorf 1997 den Titel gab. Bierstadt inszenierte "das A und O der Landschaft" als amerikanisches Sujet des Wilden Westens. Im Abstand von einhundert Jahren wird die Landschaft dieses amerikanischen Westens zweimal dargestellt, malend von Bierstadt und fotografisch von Adams, beide Male auf innovativen künstlerischen Wegen mit den aktuellen Kunst-Mitteln der jeweiligen Zeit.

Bis zum Bürgerkrieg (1861-65) blieb der amerikanische Westen Manifest Destiny, Perspektive des Glaubens an den göttlichen Auftrag zur Expansion, zur Eroberung (des Landes) wie zum Aufstieg (in der Gesellschaft). Der Westen und seine Bewohner sind vor-geschichtlich, un-zivilisiert und un-kultiviert. Diese paradiesische Wildheit konnte in ihren Qualitäten von Reinheit und Unberührtheit nur im Medium der Kunst über-leben. Der von Osten kommende, weiße American Dream war gerade im Begriff, mit göttlichem Sendungsbewusstsein die Reservate ursprünglicher Landschaft zu zivilisieren. Der Zug gen Westen wandelte Natur- in Kultur-Landschaften und Natur-Schätze in Handels-Güter. Albert Bierstadt malt den Wilden Westen, noch intakt im Angesicht des Pioniergeistes, in heroischen Dimensionen und stellt diese Bilder öffentlich zur Schau: die Landschaft und die Menschen darin immer ungezähmt, manchmal bedroht von Naturgewalten, niemals umzingelt von Zivilisation. Der Einfluss der Siedler, der weißen Gotteskrieger, zeigt noch keine Wirkung.

Eigentümlich verwandt ist diese Geisteshaltung den führenden Literaten der Zeit: 1855, gut zehn Jahre vor Bierstadts In the Mountains, beginnt die literarische Moderne zweistimmig in Amerika mit er Veröffentlichung von Henry Wadsworth Longfellows Epos The Song of Hiawatha und Walt Whitmans lyrische Rhapsodie Leaves of Grass. Longfellow leiht der indianischen Kultur seine Stimme und bewahrt so ihre Legenden und Mythen, der um zehn Jahre jüngere Whitman stimmt selbstbewusst den Lobgesang des Amerikanischen Erfolg-Traums an, wenn er schlicht behauptet "The United States are essentially the greatest poem". Diese erste Sicht des American Dream auf die Natur ist noch unschuldig, ebenso wie später die zweite Sicht des American Dream auf den Menschen zunächst egalitär und demokratisch deren Weg from rags to riches, vom Tellerwäscher zum Millionär, prophezeit, bevor sie, Land wie Mensch und Gesellschaft, der Sinclairsche Jungle verschlingen wird.

PS: Wegen der Oster-Pause erscheint der sechste und letzte Teil von "Neue Welt" erst am übernächsten Freitag, dem 13. (April 2007).