Sonntag, Oktober 07, 2007

1937_1: Kunst in Flammen

René Magritte "Die Entdeckung des Feuers" 1936
Öl auf Holz, 22 x 16 cm
Sammlung Mr. und Mrs. Gilbert Kaplan New York
mit freundlicher Genehmigung der Kunsthalle Bielefeld

Es hat schon seinen Grund, warum auch ein noch so gut bebilderter Katalog den Besuch einer Kunstausstellung nicht ersetzen kann: Hier ist der Grund der Rahmen, der zu jedem Bild gehört – und der in (fast) jedem Katalog schnöde abgeschnitten ist. Im Falle von René Magrittes gerade einmal schulheftgroßem Ölbild "La découverte du feu" aber schafft der Rahmen erst Platz zu seinem Verständnis: Er präsentiert die brennende Tuba als nackte Ikone, bar jeder bildlichen Accessoires, als finales Andachtsbild für die bereits angebrochene Apokalypse von Geist, Kunst und Kultur. Im Laufe von drei Jahren, zwischen 1933 und 1936, und nachdem er ein Jahr zuvor der Kommunistische Partei Belgiens beigetreten war, reduziert Magritte die brennende Trinität aus Tuba, Stuhl und Papier von "L'échelle de feu" auf dem Fußboden eines leeren Zimmers auf diesen veristischen Kontrapunkt zu den grellrealen Fanfaren des deutschen Nationalsozialismus und seiner europäischen Partner-Ideologien. Symbolträchtig von Thomas Kellein zum Leitmotiv seiner Ausstellung "1937" in der Kunsthalle Bielefeld gemacht, verkünden Bild und Titel seine versteckte Botschaft aus der Rückschau von 70 Jahren Kunst-Geschichte, wenn die Jahres-Zahl von den Beinen auf den Kopf gestellt wird und so ihr Geheimnis als Idee der Ausstellung preisgibt.

1937 wurde in München die Wanderausstellung "Entartete Kunst" mit über eintausend Werken von mehr als einhundert aus öffentlichen Sammlungen verbannten Künstlern eröffnet. Bis 1941 wanderte diese Femeausstellung durch das Großdeutsche Reich und wurde von über zwei Millionen Menschen, davon allein eine Million in München, besucht. "1937" steht synonym für den traurigen Höhepunkt des nationalsozialistischen Feldzugs gegen die Moderne. Auch Stalin hatte zuvor die russische Avantgardekunst aus den Museen entfernt. Im politischen Vorfeld hatte die Bombardierung Guernicas die Weltöffentlichkeit aufgeschreckt, denn nach dem Militärputsch General Francos 1936 rüstete sich Spanien ebenfalls gegen die Moderne. In der Kunstgeschichte steht das Jahr 1937 für den Beginn eines Alptraums der Plünderung und Zerstörung, die bei Werken der bildenden Kunst beginnt und als Vernichtungsmaschinerie ganzer Völker enden sollte. Die Ausstellung in der Bielefelder Kunsthalle macht diese Zeitstimmung des Jahres 1937 sinnlich erfahrbar. Kunstgeschichte wird zum Entwurf und Spiegel von Zeitgeschichte.

Am 30. September wurde die Ausstellung "1937. Perfektion und Zerstörung" in der Kunsthalle Bielefeld eröffnet. Die Bielefelder Synopse der Kunstproduktion aus Deutschland, Italien und Spanien, der Sowjetunion, Frankreich, England und den USA zeigt Gemälde, Skulpturen, Zeichnungen, Graphik, Bücher, Fotos und Filme nahezu ausschließlich aus den schicksalhaften Monaten von Mitte 1936 bis Mitte 1938. Annähernd zweihundert Künstlerinnen und Künstler, mehr als vierhundert Leihgaben aus über siebzig internationalen Museen und von mehr als fünfzig Privatsammlern werden in zehn Themenbereichen präsentiert: Artus möchte Sie in den kommenden Wochen herzlich zu fünf Rundgängen durch diese 10 Abteilungen der vielleicht wichtigsten Ausstellung in der 2. Jahreshälfte 2007 in Deutschland einladen: 1937 lebt!