Samstag, März 03, 2007

Neue Welt 1

John Vanderlyn
The Murder of Jane McCrea, 1804
82,6 x 67,3 cm, Öl auf Leinwand
Wadsworth Atheneum, Hartford Mass.
mit freundlicher Genehmigung des Bucerius Kunst Forum Hamburg

Eine blonde, weiße Jungfrau, lieblich und amerikanisch, ist mit dem Ausdruck entsetzter Angst um das eigene Leben auf das linke Knie gesunken, nachdem zwei schwarzhaarig dunkelhäutige, furchterregend und hasserfüllt ausschauende Wilde, indianische Schurken, sie an beiden Händen ergriffen haben und mit ihren primitiven aber effizienten Waffen tödlich bedrohen. Die Unterschiede der Personen spiegeln sich in ihrer Kleidung als Aufeinanderprallen verschiedener Kulturen und Wertesysteme. Dies alles geschieht als gut ausgeleuchtete Inszenierung vor dem abgedunkelten Hintergrund einer romantisch-bukolischen Landschaft, die das perfekte Bühnenbild für einen historisch verbürgten Meuchelmord abgibt: "Une jeune femme massacrée par deux sauvages au service des Anglais dans la guerre d'Amérique", so der ursprüngliche Salontitel des ersten Bildes der Ausstellung Neue Welt: Die Erfindung der amerikanischen Malerei, die derzeit im Bucerius Kunst Forum in Hamburg gezeigt wird. "The Murder of Jane McCrea", eben jene ermordete junge Frau, war 1804 in Paris entstanden und im gleichen Jahr erstmals im dortigen Salon ausgestellt worden.

Auch wenn die genauen Umstände der Tat bis heute ungeklärt sind, fand der Vorfall in Amerika wie Europa viele Jahre lang die Aufmerksamkeit weiter Kreise und verschiedener Künste: Am 27. Juli 1777 war Jane McCrea aus New Jersey auf dem Weg zu ihrem Verlobten David Jones nach New York, der als Offizier in der britischen Armee des General John Burgoyne diente. Und jener Verlobte ist es auch, der in seiner blauen Uniform auf der erhellten Waldlichtung im Hintergrund des Bildes seiner Geliebten zur Hilfe eilt – allein, zu spät, denn jene beiden primitiven Indianer werden im Auftrag der britischen Noch-Okkupanten (und fast genau ein Jahr nach der einseitigen Unabhängigkeitserklärung der ehemals britischen und nun amerikanischen Siedler) in wenigen Sekunden ihr Meuchelwerk vollendet haben. Diese amerikanischen Ureinwohner zumindest sind nicht Vertreter jener edlen Wilden, die schon den in der Ausstellung vorgestellten amerikanischen Malern als Wächter eines verloren gegangenen Paradieses galten.

John Vanderlyn, der Maler dieses ältesten Bildes in der Hamburger Ausstellung, konnte bei der Komposition seines Bildes auf die Tradition bühnenhafter Inszenierungen des Themas von den Skulpturen der klassischen Antike bis zum zeitgenössischen französischen Neoklassizismus zurückgreifen, den er in Paris in den Arbeiten Jacques-Louis Davids schätzen gelernt hatte. Obwohl 1775 in Kingston (New York) geboren, wo er auch 1852 starb, erhielt er seine prägende künstlerische Ausbildung zwischen 1796 und 1801 in Paris bei dem Historienmaler Francois-André Vincent, wo er seine Begeisterung für das Thema entdeckte und seine Ambitionen als Historienmaler entstanden. Dort lebte er auch hauptsächlich von 1803 bis 1815, unterbrochen durch längere Kunstreisen in England, der Schweiz und Italien. Bei dem kurzen Amerikaaufenthalt 1801-03 zwischen Ausbildung und Schaffen in Europa lernte er den amerikanischen Dichter Joel Barlow (1754-1812) kennen, der die Ermordung Jane McCreas bereits vor Ende des 19. Jahrhunderts in seinem Versepos The Columbiad bearbeitet hatte, aber erst 1807 veröffentlichen konnte. Für diese Ausgabe sollte Robert Fulton (1765-1815) elf Episoden illustrieren, darunter auch die propagandistische Ausschlachtung des Vorfalls von 1777, den Barlow als symptomatisches Beispiel für die britischen Gräueltaten an ihren weißen amerikanischen Gegnern bearbeitet hatte.

Statt Fulton nahm sich John Vanderlyn in Öl auf Leinwand dieses Themas im Sujet eines neoklassischen Tableaus an und verband so seine Ambitionen zur Historienmalerei – und dabei ging es ihm um die Geschichte Amerikas – mit der in den USA angesehensten Kunstgattung der damaligen Zeit, der Landschaftsmalerei. Sie galt als wichtigstes Zeugnis nationaler Identität und der biblischen Vorstellung von Amerika als dem Land der göttlichen Verheißung. Natur, Wildnis, Weite – das unterschied Amerika von Europa. All diese Landschaften waren neu für die Kunst. Mit ihnen ließ sich dem Glauben Ausdruck verleihen, dass Gott einen neuen Bund geschlossen habe, indem er die Neue Welt einer jungen Nation von Einwanderern anvertraut hatte. Der amerikanische Glaube an eine besondere zivilisationsgeschichtliche Rolle und Mission Amerikas ist bereits in diesen frühen Äußerungen der amerikanischen Kunst zu finden und wird bis ins 20. Jahrhundert hinein Selbstverständnis und Formwille amerikanischer Künstler bestimmen.